
Der Tagesspiegel veröffentlicht am 23.03.2023 ein Interview zum Thema Personalleasing in Krankenhäusern und lässt dazu eine Pflegedirektorin und einen Personaldienstleister zu Wort kommen. Ich kann dieses Interview nicht einfach so hinnehmen, weil es so vor Fremdscham, blödsinnigen Aussagen und Vorurteilen strotzt, dass mir der Geduldsfaden gerissen ist.
Ich fühlte mich angesprochen einen Leserbrief zu verfassen. Denn eins ist klar. Nicht die Leiharbeit führte zum Pflegenotstand oder Pflegefachpersonenmangel- vielmehr waren und sind die „bad leadership“-Strukturen der Kliniken und Heime verantwortlich. Wenn nicht mal 3% der Pflegefachpersonen eine angebliche Bedrohung der ganzen Branche bedeutet, dann haben die Kliniken und Heime extrem viel verpennt in den letzten Jahrzehnten.
Pflege wird niemals gratis sein – was man aber gern möchte, was wiederrum niemand offen zugeben wird, weil man sonst eine ziemliche Watsche bekommt. Man aggitiert lieber gegen die Leiharbeit und suggeriert der Bevölkerung, dass Personalleasing die Kosten extrem explodieren lasse und man gezwungen sein wird diese Kosten umzulegen auf die Allgemeinheit. Ja, das wird so sein. Aber vielleicht ist das einfach nur der Wert unserer Arbeit.
Es gibt einfach Dinge, die man nicht mehr unkommentiert lassen darf.
Schwachsinnige Aussagen von Pflegedirektor*innen gehören da dazu. Und deshalb muss man auch mal mitten in der Nacht Leserbriefe an Redaktionen schreiben. Allein, weil es der Seelenhygiene dient….
Sehr geehrter Herr Heine,
mit viel, ich nenne es mal Emotion, im Bauch habe ich Ihren Artikel zum Thema Leiharbeit in der Pflege gelesen. Die beiden Interviewpartner könnten nicht gegensätzlicher sein, was im Prinzip auch ganz gut ist. Allerdings weiß ich nicht, wo Sie diese Frau Hanuschke ausgegraben haben. Die von Ihr getätigten Aussagen sind, entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, an Schwachsinn nicht zu überbieten. Das ist ganz typisches BWLer-Geschwätz, welches seit Jahrzehnten die Pflegeberufe begleitet und zum Großteil auch dazu beigetragen hat, dass die Menschen keine Lust mehr auf diesen Beruf haben und entweder ganz gehen oder eben eine Alternative suchen.
Ja, man würde jetzt entgegenhalten, dass in den letzten Jahren die Zahl der Auszubildenden in den Pflegeberufen kontinuierlich gestiegen ist. Ja, stimmt. Allerdings stieg auch die Abbrecherinnenquote und die Quote derer, die dem Beruf wieder den Rücken kehren. Es kommt halt nur drauf an, wen Sie fragen. Zur Wahrheit gehören eben auch zwei Seiten. Und weil das so ist, möchte ich jetzt mal aus Sicht eines Leiharbeitenden sprechen bzw. die von Frau Hanuschke in den Raum gestellten „Vorwürfe“ ein wenig aus einem anderen Licht beleuchten.
Schon der erste Absatz Ihres Artikels ließ mich innerlich explodieren. Denn das ist, mit Verlaub, ziemlicher Müll. Ich weiß nicht, ob diese Sätze von Frau Hanuschke kommen (steht da nicht), aber sie sind so nicht wahr. Die besten Schichten sollen wir uns als Leiharbeitende heraussuchen? Was sind denn die besten Schichten, wenn es in jeder Schicht an Personal klemmt? Weiß man vorher, dass in der Schicht wenig Arbeit anfällt und wählt sie dann dementsprechend? Egal ob Frühschicht, Spätschicht oder Nachtschicht. In JEDER Schicht ist meist gut zu tun. Es geht immerhin um Patientenversorgung. Es gibt keine „guten Schichten“. Es gibt Menschen, die machen gerne Frühdienst, welche die machen gerne Spätdienst oder auch welche, die gerne Nachtdienst machen. Das war schon immer so und sollte m.M.n. von den Kliniken und Heimen auch genau so berücksichtigt werden. Lieber hält man starr am „Du MUSST aber 3 Schichten machen“ fest. Nunja, dann hat man halt verloren.
Wenn Frau Hanuschke nun meint, dass man als Leiharbeitender ausschließlich die „Premiumschichten“ möchte, dann frage ich mich, ob sie überhaupt mal in der Pflege gearbeitet hat oder ob sie nur von außen urteilt. Über Station flanieren reicht da nicht. Nur damit es zu keinen Missverständnissen kommt. Ich für meinen Teil mache extrem viele Spätdienste. Jene Dienste, die sonst keiner machen möchte. Also nichts mit „guten Schichten“. Ja, ich gebe den Zeitraum vor, in dem ich einsetzbar bin. Meist sind das 8 Tage am Stück, dann eine längere Zeit frei, dann wieder 8 Tage am Stück. Das kann ich tun, weil ich genug Freizeit habe, die mir erlaubt mich zu erholen. Ich bin dadurch einsatzfähiger. Aber was hindert die Kliniken daran, dass auch so zu machen? Was? Konnte mir bis heute keiner so richtig erklären. Dienstpläne sind DAS Motivationsmittel in Heimen und Kliniken. Aber halt auch DAS Druckmittel. Muss man sich halt entscheiden auf welches Pferd man setzt. Nun Herr Heine, sie können jetzt mal raten auf welche Strategie die meisten Einrichtungen setzen.
Das mit dem Dienstplan stößt Leitungen von Kliniken oder Heimen sauer auf, klar. Man will „Knechte und Mägde“ die 21 Dienste oder mehr im Monat schrubben und nicht nörgeln. Die Zeiten sind aber vorbei. In Vorstandsetagen hängen aber leider noch die Kalender aus den 80ern. Daher wird man auch nichts gehaltvolles hören, was Pflege anbetrifft. In Vorstandsetagen weiß man eigentlich fast nichts über den Beruf und dessen Aufgaben, Ressourcen und Einsatzmöglichkeiten. Man will das auch nicht wissen. Reicht wenn es irgendwie läuft.
„Das Abwandern zu Leasing-Firmen verschärft den Pflegenotstand“, sagt Hanuschke. „Und wer will schon, dass seine frisch operierte Mutter von einer schlecht eingearbeiteten Pflegekraft versorgt wird, die noch nicht alle örtlichen Abläufe und wichtigen Telefonnummern kennt?“.
Diese Aussage kann ich so bestätigen. Will keiner. Deshalb kauft man sich ja auch Leiharbeitskräfte ein, die z.B. im ITS-Bereich mitunter sehr viel Erfahrung mitbringen. Frau Hanuschke tut gerade so als ständen Montag-Morgen irgendwelche Leiharbeiterinnen einfach vor der Tür. Hat sie auch erzählt, dass man im Vorfeld der Buchung ein Portfolio über die verfügbaren Leiharbeiterinnen zugeschickt bekommt und man sich über die Referenzen jedes Einzelnen informieren kann? Vielleicht sucht Frau Hanuschke auch nur falsch aus. Dafür kann aber nur sie etwas und nicht die Leiharbeitsfimen im allgemeinen. Zudem: Einarbeitung obliegt der Station. Ich habe Mitarbeiterinnen kennengelernt, die als Festangestellte so beschissen eingearbeitet waren, dass ich ihnen als Leiharbeiter erstmal Intensivpflege erklären musste. Aber genau DAS ist es ja, was die Leute in die Leiharbeit treibt. Die Klinikchefinnen wollen immer voll den Durchblick haben und sich für die Pflege einsetzen. Am Ende wissen sie nicht einmal, wie die Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen abläuft. Aber klar, daran ist die Leiharbeit schuld. Um in der Intensivpflege arbeiten zu können, brauche ich zudem auch keine Telefonnummern. Ich brauche Ahnung vom Fach. Nennt man Fachlichkeit. Und damit kann ich überall arbeiten. Egal ob in Berlin, München oder Bielefeld.
Achso: örtliche Abläufe. Wenn sie halt unlogisch und völlig unsinnig sind, dann gefährdet das Patientinnen. Das tun sie aber auch so, da braucht es keine Leiharbeiterinnen. Das schaffen die Festangestellten von ganz alleine.
Bezeichnend, dass Frau Hanuschke das Beispiel der „frisch operierten Mutter“ bringt. Klar, Operationen bringen einer Klinik Geld. Internistische Patientinnen sind da eher nicht so lukrativ. Deshalb möchte man die „frisch operierte Mutter“ lieber schnell wieder entlassen, damit man Platz für die nächste Patientin hat. Leiharbeiterinnen haben nur leider die blöde Angewohnheit, dass sie auf Missstände eher aufmerksam machen, weil sie einen weiteren Blickwinkel haben. Um es anders zu sagen: Sie sind meist nicht betriebsblind. Und wer legt sich als Festangestellte denn gerne mit dem „Herr Doktor an“, wenn offensichtlich etwas mies läuft? Die wenigsten tun das. Die Leiharbeit piekst auch mal mit dem Finger in ganz eingefahrene Abläufe, die man eventuell optimieren könnte. Frau Hanuschke scheint halt lieber die „Haben wir schon immer so gemacht“-Schwester haben zu wollen.
Man bekommt, was man verdient. Wortwörtlich.
Zudem ist das Beispiel der Mutter ein rhetorischer Trick, der immer wieder gern genommen wird um moralisch zu erpressen.
Unterbesetzung und deshalb Betten sperren, weil Nichteinhaltung der PpUG?
Möchtest du, dass deine „kranke Mutter“ nicht aufgenommen wird, wenn sie Hilfe braucht? Also lassen wir euch lieber bis zum Umfallen schuften, schlechte Pflege betreiben, weil „die Mutter“ und so. Missed nursing care heißt das übrigens, wenn man Pflege aus Überlastung abkürzt oder ganz weglässt. Sterben Menschen dran. Aber wird keine Klinik je zugeben, weil man das auch nie untersucht. In Deutschland ist alles tutti. Darf halt nur keiner mal genauer hinschauen.
„Die Leasingfirmen verdienen viel, beteiligen sich aber nicht an der aufwendigen Ausbildung und Nachwuchsgewinnung in der Pflege“, sagt Pflegedirektorin Hanuschke.
Ich muss gerade etwas schmunzeln. Dieser Satz ist absoluter Blödsinn. Ja, Leiharbeitsfirmen beteiligen sich nicht an Ausbildung und Nachwuchsgewinnung. Und, so what? Die Leiharbeiterinnen suchen sich aber den Arbeitgeber selbst aus. Ob das einer Frau Hanuschke nun passt oder nicht. Wenn sie ein Klinikum leitet, dass keine Leiharbeiterinnen braucht, dann Glückwunsch. Alles richtig gemacht. Auch sie bedient sich vom freien Markt. Und andere sollen nun ein schlechtes Gewissen bekommen? Einfach nö!
Was mich mittlerweile sehr anbricht ist dieses „alle über einen Kamm scheren“. Wenn man das mit den Kliniken und Heimen machen würde, da wäre das Geschrei groß.
Lustig: Es schreien meist nur die, bei denen es eh durch „bad Leadership“ und beschissene Arbeitsbedingungen nicht mehr rund läuft. Klar, da will man am liebsten alles verbieten und reguliert haben, weil man es selbst nicht auf die Kette bekommt.
Das Leasing-Geschäft müsse mindestens streng reguliert werden, sagt Hanuschke: „Die Firmen sollten zudem zur Einhaltung von Qualitätsstandards, internen Weiterbildungen und Ausfallkonzepten verpflichtet werden. Derzeit sagen die Firmen oft kurzfristig ab, dann stehen wir da.“.
Ich MUSS interne Weiterbildungen absolvieren. Sagt mein Arbeitgeber – seines Zeichens eine Personaldienstleistungsagentur. Ich bilde mich sogar freiwillig fort, weil ich meinen Beruf liebe und gerne „up to date“ bleiben möchte. Mein Arbeitgeber zahlt das auch ohne Murren, was in den Kliniken oft ein riesiges Problem ist, gerade wenn es auf mehrtägige Kongresse gehen soll – die im übrigen einen großen Mehrwert haben.
Qualitätsstandards? Was meint die Frau damit? Ich muss mich in den Kliniken an die Spielregeln halten, die mir die Klinik vorgibt. Dazu gehören auch Qualitätsstandards. Hat man keine, kann sich auch kein Leiharbeitender dran halten. Aber man sollte vielleicht erstmal beim eigenen Personal anfangen, bevor man auf die Leiharbeiterinnen eindrischt. Bei den Festangestellten hapert es nämlich auch oft ziemlich an „Qualität“. Und ja, auch das wissen die Kliniken und Heime.
Ausfallkonzepte will Frau Hanuschke. Okay, ihr Ausfallkonzept scheint ja zu sein, dass man Leiharbeiterinnen einstellt, weil es an Personal mangelt. Und Menschen erkranken nun mal. Ob nun der Festangestellte nicht kommt oder die Leiharbeiterin, ist am Ende egal. Nicht da ist nicht da. Was Frau Hanuschke vermutlich eigentlich versucht zu sagen: Sie hätte gern mehr Verfügungsmasse und möchte gern, dass ihre Personalprobleme outgesourct werden können. Ist ja auch angenehm. Man bucht dann als Klinik X-Leiharbeitende und wenn sie ausfallen ist das das Problem der Leihfirma. Sind die Kolleginnen da heißt es „zu teuer = Leiharbeit scheiße“, sind sie nicht da, wird eben gesagt „fallen kurzfristig aus und uns fehlt Personal = Leiharbeit scheiße.“. Egal wie man es macht, wenn die Meinung festgefahren ist, dann ist eben alles nicht recht und überall findet man das „Haar in der Suppe“.
Ich habe nach über 20 Jahren Intensivpflege (in Festanstellung mit 100% Arbeitszeit) und zig Versprechungen seitens der Kliniken in denen ich gearbeitet habe, meinen Wert gefunden. Ich kann viel, ich arbeite auch dafür und ich möchte auch entsprechend entlohnt werden. Wenn das die Kliniken nicht möchten, dann müssen sie sich jemand anderen suchen. Die Leiharbeit ist nur mein Anker, der mich momentan davor bewahrt den Pflegeberuf ganz zu verlassen. Ich bin auf den Beruf nicht angewiesen. Ich kann überall quereinsteigen. Gar kein Thema heutzutage.
Die Bevölkerung ist auf meinen Beruf angewiesen. Und ich finde es ziemlich schade, dass man für absoluten Mumpitz auf die Straße geht, aber für die wichtigen Dinge lieber das heimische Sofa vorzieht. Pflege geht uns alle an. Die Eine betrifft es eher, die Andere halt später. Aber das Geheul ist dann groß, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden. Man bekommt was man verdient. Und wenn die Bevölkerung meint, dass sie keine professionelle Pflege braucht, dann ist das eben so.
Zum Schluss möchte ich noch eine derbe Anmerkung machen, die sich Kliniken und Heime gerne einrahmen können (so als Ersatz für diese kleinen Büroweisheiten a la „Wie sind hier auf der Arbeit und nicht auf der Flucht“):
Wenn man eine beschissene Bumsbude leitet, die nur noch durch Leiharbeit überhaupt handlungsfähig ist, dann sollte man sich eher Gedanken um das eigene Management im allgemeinen als um Leiharbeit im speziellen machen. Denn dann hat man es grundlegend erstmal selbst verkackt! Und das ganz ohne Leiharbeit.
In diesem Sinne.
Liebe Grüße aus Thüringen.
Anmerkung der Porter-Redaktion 😀
Der Brief wurde für diesen Blog ein wenig abgeändert oder in Teilen ergänzt.
Warum? Weil ich es kann! 😉