„I have a dream…“

Ich komme mir manchmal vor als schreibe ich aus einem Krisengebiet.
An allen Ecken und Enden brennt es. Egal wohin man schaut herrschen Mangel und Unterversorgung. Zum Teil so gravierend, dass es menschenverachtend ist.
Die Politik sieht seit Jahren weg. Lässt sich gar Zahlen vorlegen, die kein Handeln nötig machen würden. Wohlwissend, dass in diesen Zahlen vielleicht nur die halbe Wahrheit steckt. Und dann stellt man sich dumm. Tut so als sei die Krise im Bereich der Pflege neu, als wüsste man von alldem nichts. Wirkt überrascht und lässt sich zu Sätzen verleiten wie: „Politik handelt konsequent und Pflegende fangen an, gut über die Pflege zu reden. #Deal“.
Twittern wie Rüddel eben.

Die Arbeit, den Beruf, den ich mal vor über 20 Jahren erlernt habe, gibt es heute fast nicht mehr. Ich meine damit nicht, dass es keine Krankenpflege mehr gibt, sondern ich kann meinen Beruf nicht mehr so ausüben wie es sein müsste. Bedarfsgerechte Pflege. Menschenwürdige Pflege. Das alles hat etwas mit Zeit zu tun. Zeit ist im Pflegebereich ein sehr essentielles Gut. Nur wer Zeit hat, kann auf die Bedarfe der Patient:innen so eingehen, wie es ihnen am hilfreichsten ist. Ich meine damit nicht Bummelei und Schlendrian. Ich meine damit Ruhe und Sorgfalt. Ich meine damit auch, den Blick zu haben für kleinste Veränderungen am Zustand eines/r Patient:in. Zudem möchte ich gerne Ressourcen nutzen oder gar ausbauen. Dinge die ein Mensch noch kann, bei denen er aber vielleicht Hilfe benötigt. Dinge, die beibehalten werden sollen oder man vielleicht erreicht, dass wieder mehr Eigenständigkeit in den Alltag einkehrt.

Niemand möchte zum „Pflegefall“ werden. Niemand möchte auf die Hilfe Anderer angewiesen sein. Jeder möchte soweit es geht selbstbestimmt leben. Mein Beruf hilft dabei. Er hilft nicht nur bei Krankheit, er hilft auch bei Gesundheit. Nämlich dann, wenn es darum geht Krankheiten zu vermeiden. In Deutschland ist die Pflege überwiegend auf die Versorgung von Kranken ausgerichtet. Prävention gibt es kaum. Dabei ist die Prävention in der Ausbildung/Studium ein sehr großes Thema. Prävention ist auch, wenn ich Komplikationen einer Erkrankung oder einer Operation vermeide. Für beide Bereiche, Prävention wie die Pflege Kranker, braucht es Zeit und vorallem ausreichendes und fachlich hochqualifiziertes Personal. Zudem braucht es gute Arbeitsbedingungen. Dazu gehören unter anderem gute Arbeitsmaterialien. Da rede ich z.B. von vernünftigen Betten, vernünftigen Matratzen, vernünftigem Wundversorgungsmaterial und Hilfmitteln wie Lifter oder Mobilisationsstühlen, eine gute Stationsinfrastruktur. Dazu gehören aber auch Bedingungen, die es für mich möglich machen einen 24/7-Beruf ausüben zu können. Work-Life-Balance. Vereinbarkeit Familie und Beruf. Ein angemessenes Gehalt. Im Pflegebereich sind das teilweise Utopien. Wer nicht mehr kann, der kann gehen – so nicht selten die Aussage der Kliniksleitungen. Und genau das tut die Pflege auch.
Sie geht.
Seit Jahren.
Scharenweise.

Ich bin noch nicht gegangen. Noch nicht. Doch mein Abschied ist eigentlich beschlossene Sache. Es bedarf schon sehr viel Veränderung, dass ich dieses Vorhaben wieder auf Eis lege. Momentan sieht es nicht so aus als müsste ich das. Denn momentan macht mich mein Beruf krank. Und nicht nur das. Er verletzt mich mitunter sogar. Moralisch und psychisch. Ich muss Dinge tun, die ich mit den mir zur Verfügung gestellten Mitteln nicht schaffe. Eins der mangelnden Mittel wäre die Zeit. Ein anderes die fehlende Personalausstattung. Man muss daher die Pflege rationieren. Man muss einzelne Maßnahmen kürzen oder gleich ganz weglassen. Man handelt also entgegen den eigenen moralischen und berufsethischen Vorstellungen. Man pflegt nicht mehr. Man passt eigentlich nur noch auf. Nicht weil man das will, sondern weil man dazu gezwungen ist. Dieses ständige Hin- und Hergerissen sein, das Wissen, dass man viel besser pflegen könnte und man den Menschen damit viel besser hilft, macht einen innerlich kaputt. Und bevor man daran zerbricht, geht man. Und kommt auch nie wieder zurück.

I have a dream – Ich habe einen Traum.
Ich träume davon, dass mein Beruf ernst genommen wird.
Ich träume davon, dass Pflege ein systemrelevanter Gesundheitsberuf ist.
Ich träume davon, dass Pflege für uns Alle ein wichtiges Thema wird.
Ich träume davon, dass mein Beruf auf eigenen Beinen steht.
Ich träume davon, dass Pflege modern und wissenschaftsbasiert arbeitet.
Ich träume davon, dass Pflege bedarfsgerecht und mit Zeit arbeiten kann.
Ich träume davon, dass ich bleibe.
Weil ich ihn mag. Meinen Beruf.
Und ich träume davon, dass ich irgendwann aufwache und sage:
Ich hatte einen Traum. Nun ist er wahr geworden.

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